Weiterbildung in Warteschleife? Nicht mit uns!
Über 500 Studierende und Vertreter*innen des Berufsstands demonstrierten für Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung vor dem Deutschen Bundestag
Berlin, 06.06.2024 – „Psychotherapie-Weiterbildung finanzieren – jetzt!“ forderte heute ein breites Bündnis aus Psychotherapie-Studierenden, Kammern, Verbänden, Ausbildungsstätten, Universitäten und weiteren Interessensgruppen vor dem Deutschen Bundestag. Die Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Dirk Heidenblut (SPD), Alexander Föhr (CDU) und Kathrin Vogler (Die Linke) unterstützten die Demonstration, die von der Psychologie-Fachschaften-Konferenz (PsyFaKo) und dem PtW-Forum Berlin organisiert wurde. Hintergrund war die fehlende Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Absolvent*innen der neuen Psychotherapie-Studiengänge brauchen die fünfjährige Weiterbildung, um Fachpsychotherapeut*innen zu werden.
„Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, aber uns rennt die Zeit davon: Die ersten Jahrgänge im neuen System sind nun fertig und stehen vor einer ungewissen Zukunft. Schon ab nächstem Jahr werden es bis zu 2.500 Absolvent*innen jährlich sein. Herr Lauterbach, handeln Sie jetzt: Wir brauchen noch diesen Sommer eine Finanzierungsregelung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“, warnte PsyFaKo-Mitglied Felix Kiunke.
Studentin Sara Weber beschrieb die Situation der Studierenden: „Wir haben Angst, weil wir nicht wissen, wie es für uns weitergeht, sobald wir unser Studium abschließen. Frust, weil wir so viel geben, um gute Psychotherapeut*innen zu werden und Wut, weil niemand uns sagen kann, wann oder ob es überhaupt eine Finanzierung für unsere Weiterbildung geben wird. Wir sind motiviert und wollen arbeiten! Wir wollen Patient*innen versorgen! Wir fordern: Lasst uns!“
„Es kann nicht sein, dass die Gesundheitspolitik immer noch keine Maßnahmen ergreift, um die Finanzierung der Weiterbildung gesetzlich zu regeln. Seit der Anhörung im Petitionsausschuss vor knapp einem Jahr hat das Bundesgesundheitsministerium weiterhin keine zielführenden Lösungsvorschläge vorgestellt. Deswegen droht kurzfristig quasi ein Weiterbildungsstopp, langfristig ein Versorgungsmangel“, kritisierte Elodie Singer, Psychotherapeutin in Ausbildung (PiA) und Sprecherin der Bundeskonferenz PiA.
„Die Weiterbildung gibt es nicht zum Nulltarif. Mit dem Kabinettsentwurf eines Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) hat die Bundesregierung jetzt erstmals das Problem anerkannt: Die Zukunft des psychotherapeutischen Nachwuchses muss gesichert werden. Das ist gut, aber auch überfällig. Doch greift der Gesetzentwurf viel zu kurz“, bemängelte Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
„Schon jetzt würden mehr als 2000 Praxen gerne Weiterbildung anbieten. Aber noch keine einzige hat eine*n Psychotherapeuten*in in Weiterbildung eingestellt. Warum nicht? Weil gesetzliche Regelungen fehlen. Wir brauchen eine Änderung der Zulassungsverordnung, damit die Weiterbildungs-Therapieleistungen überhaupt in Praxen erbracht werden können“, forderte Barbara Lubisch, Stv. Bundesvorsitzendes der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV).
„Die politisch Verantwortlichen haben in den letzten 30 Jahren das ehemals attraktive Berufsfeld sozialer Berufe dermaßen vernachlässigt, dass wir hier einen massiven Fachkräftemangel haben. Das hat Folgen, die Kinder und Jugendliche ausbaden müssen“, sagte Ariadne Sartorius, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin aus dem Bundesvorstand des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten (bvvp).
„Viele Studierende verzögern ihre Abschlussprüfung – in der Hoffnung, dass es bald mehr Sicherheit gibt. Durch Gespräche weiß ich, wie psychisch belastet die Studierenden durch diese ungewisse Situation sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie auch das Studium Corona-bedingt unter schweren Bedingungen beginnen und durchführen mussten“, gab Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier zu bedenken, Lehrstuhlinhaberin der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald.
Junge Kolleg*innen, die heute nicht mit einer Weiterbildung beginnen können, fehlen morgen in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen. Angesichts steigender Zahlen psychischer Erkrankungen werden diese aber zukünftig dringend gebraucht.
Hintergrund:
Seit September 2020 gibt es einen neuen Qualifizierungsweg für Psychotherapeut*innen. Dieser besteht aus einem Studium und einer anschließenden Weiterbildung. Die Struktur der neuen Weiterbildung ist angelehnt an die ärztliche Weiterbildung. Jedoch wurde die Finanzierung der Weiterbildung nicht ausreichend geregelt, und durch eine massive Unterfinanzierung der Weiterbildung wird es kein ausreichendes Angebot an Weiterbildungsplätzen geben. Auf den dringenden Handlungsbedarf wurde im letzten Jahr mit einer erfolgreichen Bundestagspetition aufmerksam gemacht, die durch ihre 72.000 Mitzeichnungen im Juli 2023 zur öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages führte. Der Petitionsausschuss hatte das Anliegen anerkannt und ans Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit verwiesen. In der Folge hat am 13. Dezember 2023 der Petitionsausschuss die Petition zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung mit dem höchstmöglichen Votum „zur Berücksichtigung“ an die Bundesregierung überwiesen. Dieser Beschluss wurde am 18. Januar durch den Bundestag bestätigt.
Im Kabinettsbeschluss des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) wurde eine Regelung zur Finanzierung der Weiterbildung zwar aufgenommen, diese beinhaltet aber lediglich eine Refinanzierung der abrechenbaren Versorgungsleistungen der angestellte Psychotherapeut*innen in Weiterbildung. Bei der Verhandlung der Ambulanzen mit den Krankenkassen über die Höhe der Vergütung für diese Versorgungsleistungen sollen notwendige Betriebskosten der Ambulanzen für die Durchführung der Weiterbildung aber ausdrücklich nicht berücksichtigt werden dürfen. Damit können in der ambulanten Weiterbildung keine angemessenen Gehälter bezahlt und zugleich die notwendigen Weiterbildungselemente wie Theorie, Selbsterfahrung und Supervision finanziert werden. Darüber hinaus kann der notwendige Bedarf an Weiterbildungsplätzen nur sichergestellt werden, wenn neben den Ambulanzen auch Praxen, Kliniken und institutionelle Einrichtungen zusammen entsprechende Kapazitäten zur Verfügung stellen. Für letztere sieht der Kabinettsentwurf zum GVSG keinerlei Regelungen vor.
Die Absolvent*innen des Masterstudiengangs in Psychotherapie stehen weitgehend ohne Weiterbildungsmöglichkeiten da; für 2025 wird mit einer massiven Zunahme entsprechender Absolvent*innenzahlen gerechnet. Ohne diese Weiterbildung können sie nicht die erforderliche Qualifikation für die psychotherapeutische Praxis erlangen. Diese Situation gefährdet die zukünftige Sicherstellung der psychotherapeutischen Versorgung.