Klima/wandel(t) unsere Psyche – Wie hängen Klimakrise und psychische Gesundheit zusammen? Bericht zur Fortbildungsveranstaltung der PTK Hessen

30.10.2023 | Kategorie:

Immer mehr Menschen leiden unter den Folgen des Klimawandels – nicht nur körperlich. Studien zeigen zunehmend, dass die Betroffenheit auch psychische Folgen verursachen kann. In diesem Zusammenhang veranstaltete die Kammer am 18. Oktober im Rahmen der Woche der seelischen Gesundheit die Fortbildung „Klima/wandel(t) unsere Psyche“.

Klima/wandel(t) unsere Psyche – Wie hängen Klimakrise und psychische Gesundheit zusammen?
Bericht zur Fortbildungsveranstaltung der PTK Hessen

Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregen oder der Temperaturrekord wie im zuletzt überraschend warmen Herbst zeigen die Auswirkungen des voranschreitenden Klimawandels. Immer mehr Menschen leiden darunter – nicht nur körperlich. Zunehmend zeigen Studien, dass die Betroffenheit auch psychische Folgen verursachen. Sei es durch direkte Auswirkungen, beispielsweise Verlust der Existenzgrundlage, Beschädigung von Hab und Gut, körperliche Verletzung oder Verlust eines Menschen, oder indirekt durch die Angst vor genau diesen Folgen, die durch den Klimawandel ausgelöst werden können. Traumatische Erlebnisse aufgrund des Klimawandels oder Zukunftsängste – beides kann zu psychischen Beeinträchtigungen führen.

Wir Psychotherapeut*innen können unsere*n Patient*innen dabei helfen, mit klimabezogenen Ängsten und Sorgen umzugehen. Wir müssen jedoch noch einiges über die Zusammenhänge lernen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit unserer Patient*innen zu verstehen.

Else Döhring

Vizepräsidentin, PTK Hessen

Das steigende Bewusstsein dafür rückt die Bedeutung psychischer Gesundheit im öffentlichen Diskurs immer mehr in den Fokus. Angesichts dieser neuen potenziellen Herausforderungen, auch in der Psychotherapie, haben wir uns in der Kammer die Frage gestellt: Ist das Thema „Klimakrise“ bereits in der psychotherapeutischen Praxis angekommen?

15 Prozent thematisieren Klimakrise – Mitgliederumfrage
Die Ergebnisse unserer nichtrepräsentativen Mitgliederumfrage zeigten, dass bei durchschnittlich 15 Prozent der Patient*innen die Klimakrise im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung thematisiert wurde. Dabei wurde eine mittlere Belastung der Patient*innen festgestellt. Bei lediglich drei Prozent der Patient*innen wurde eine spezifische "Klimaangst" als Problemstellung in der psychotherapeutischen Praxis angegeben. Mehr dazu lesen Sie hier. Außerdem ergab sich aus der Umfrage der Wunsch, nach mehr Information zum Thema „Klima und Psyche“. Diesem Wunsch sind wir mit unserer Fortbildungsveranstaltung „Klima/wandel(t) unsere Psyche“ nachgekommen.

Drei Expert*innen konnte die Kammer für die Fortbildung gewinnen: Lea Dohm, KLUG e.V., Dr. Isabel Behr, KJP Anröchte und Christoph Hausmann, PP Wiesbaden. Gemeinsam mit Else Döring, Vizepräsidentin der PTK Hessen, haben sie ein Programm aus spannenden Vorträgen, Übungen und Selbstreflektionen erarbeitet. Ziel der Fortbildung war die Vermittlung der Zusammenhänge von Klima und Psyche von Behandlungsstrategien im Umgang mit Patient*innen sowie von Möglichkeiten zur Selbstfürsorge

Wir sind alle betroffen
Den Anfang machte Lea Dohm mit einem übergeordneten Vortrag zum Thema Klima und Psyche. Sie betonte, dass das Problem der Klimakrise deutlich größer sei, als die meisten Menschen vermuten. Das Bewusstsein über den individuellen Einfluss sei ebenfalls noch sehr gering: „Meine Krankenkasse, meine Ernährung, ob ich in den Urlaub fahre und vieles mehr spiele eine Rolle. Häufig sind die Auswirkungen nicht offensichtlich“, erklärte sie. Zudem müsse sich die soziale Norm hinzu umweltfreundlichem Verhalten ändern. „Als Therapeutin können wir uns gleich mit auf die Couch legen. Wir sind alle betroffen. Nowhere is safe anymore“, sagte Lea Dohm. Diese Verstrickungen bringe die besondere Herausforderung für den Beruf als Psychotherapeut*in: Wie positioniere ich mich im Gespräch mit Patient*innen? Einerseits gäbe die Berufsordnung vor, Neutralität zu bewahren, andererseits sei auch die „Erhaltung der soziokulturellen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die psychische Gesundheit der Menschen“ integriert.

Gefühle reflektieren, nicht pathologisieren
Eine Teilnehmende stellte daraufhin die Frage: „Kann ich Handlungsempfehlungen zu individuellen Änderungen geben? Darf ich politische Diskussionen in der Therapie führen?“ Christoph Hausmann verwies ebenfalls auf das Neutralitätsgebot. Ein Gespräch auf Grundlage von wissenschaftlichen Fakten oder das Stellen offener Fragen sei jedoch möglich und würde Patient*innen nicht in eine bestimmte Richtung drängen. Ein Aspekt, der sich auf andere aktuelle Krisen übertragen lässt und die Haltung der Psychotherapeut*innen gegenüber den Patient*innen in der Psychotherapie verändert. Der Umgang mit starken Gefühlen, Meinungen und Wertevorstellungen – eigener und der des Gegenübers – haben sicher schon immer in der Psychotherapie eine Rolle gespielt, im Zusammenhang mit dem Klimawandel und damit einer grundlegenden Bedrohung der Existenz aller Menschen nimmt dies vermehrt eine andere Dimension an. Dr. Isabel Behr empfiehlt, erst die eigene Reaktion auf das Thema Klimakrise zu reflektieren und zu spüren, was es auslöst. Dann fiele der Umgang damit in der Therapie leichter.

In diesem Kontext drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob die Angst vor der Klimakrise eine Störungsbild erfüllt? Angststörung? Depression? Die Referent*innen sind sich einig, dass Klimagefühle völlig normal sind und nicht pathologisiert werden sollten. „Die Verdrängungsmechanismen funktionieren in diesem Fall nicht. Hier geht es nicht um ein bisschen Angst, um ein bisschen Klimakrise. Das ist eine Wand, die auf uns zurollt. Im Gegensatz zu einem Krieg geht diese Krise nicht vorbei.“, sagt Dr. Isabel Behr. Psychotherapeut*innen haben hilfreiche Kompetenzen und Strategien, um angemessen mit klimabezogenen Ängsten umzugehen. Es brauche ein gutes Konzept, um diese in die breite Öffentlichkeit zu transportieren.

Kinder sind Krisen ausgesetzt
Mit ihrem Vortrag brachte Dr. Isabel Behr die Perspektive der Kinder und Jugendlichen in die Veranstaltung ein. Sie startete mit dem Hinweis auf eine Studie, die Auswirkungen globaler Krisen auf die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen belegt (vgl. Hannemann). Ein entscheidender Faktor sei dabei, dass Kinder weniger Kontrolle haben und auf die erwachsenen Bezugspersonen im Umgang mit negativen Informationen angewiesen seien. Beispielsweise könne ein Kind nicht einfach die Nachrichten in TV/Radio ausschalten, sondern sei der Situation ausgesetzt. Oder was, wenn Kinder sich stark betroffen fühlen, weil die Eltern sich intensiv mit einem Krisenthema wie dem Klimawandel beschäftigen? „Verbieten kann ich es den Eltern nicht.“ Dr. Isabel Behr ist der Meinung, dass genau aus diesem Grund die Elternarbeit in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie immer mehr an Bedeutung gewinne. Die Entwicklung von Konzepten und Handlungsleitfäden sei dringend notwendig.

Fazit: Der Einfluss des fortschreitenden Klimawandels auf die Psyche verändert die Psychotherapie und verlangt nach neuen Ideen. Hausmann greift auf einen Vorschlag aus seinem Vortrag zurück: „In meiner Ausbildung hieß es: Niemals über gesellschaftliche Probleme sprechen, das lenkt ab. Mein Vorschlag heute ist, die Betroffenheit von Patient*innen durch den Klimawandel oder andere Krisen in der Anamnese abzufragen.“ Dabei kann er sich Fragen vorstellen wie: Wie fühlen Sie sich als Teil der Gesellschaft? Wie stehen Sie zu den verschiedenen globalen Krisen? Fühlen Sie sich vom Klimawandel betroffen?

Referent*innen

Lea Dohm ist Diplom-Psychologin, tiefenpsychologische Psychotherapeutische Psychotherapeutin für Erwachsene und Gruppen sowie Supervisorin. Sie ist Autorin des Buches „Klimagefühle“ und Mit-Herausgeberin des Buches „Climate Action“. Gemeinsam mit Kolleg*innen hat sie Psychologists/ Psychotherapists for Future (Psy4F) ins Leben gerufen. Seit über einem Jahr arbeitet sie bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) u.a. in einem Projekt zur Transformation von Behandlungskonzepten einer psychosomatischen Rehaklinik nach dem Planetary Health Konzept.

Dr. Isabel Behr ist Sonderpädagogin und analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis in Anröchte (NRW). Seit 2005 publiziert sie zum Thema Inklusion in Kindertageseinrichtungen. Seit 2020 engagiert sie sich als ehrenamtliches Mitglied bei PsyF4 (Psychosoziale Beratung von Aktivisti, Vorträge und Workshops zum Thema Klimagefühle und Psychodynamik in der Klimakrise).

Christoph Hausmann ist Diplom-Psychologe und in eigener Praxis als tiefenpsychologischer Psychologischer Psychotherapeut in Wiesbaden tätig. Gemeinsam mit Kolleg*innen hat er 2022 ein Buch veröffentlicht: „Climate Emotions – Klimakrise und psychische Gesundheit“. Er engagiert sich ebenfalls ehrenamtlich bei Psy4F und koordiniert dort die Beratungsstelle. In diesem Angebot geht es um ein niederschwelliges Angebot für themenoffene Gespräche und Hilfe zur Selbsthilfe.

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